Stolperstein - Walter Wassermann
Walter Wassermann (1924 - 2014) ist einer der wenigen Mannheimer Deportierten, die den Holocaust überleben. Sein Vater sowie sein Stiefvater sind Juden. Seine Mutter stammt aus einer katholischen Familie und konvertiert vor ihrer ersten Eheschließung zum jüdischen Glauben. Anders als bei den politisch Verfolgten des Naziregimes besteht die perfide Rechtfertigung seiner Verfolgung als "Halbjude" in der Anwendung der Nürnberger Gesetze von 1935, im "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre."
Walter Wassermann : Aus "Mannheimer Zeitzeugen berichten" von Karl Heinz Mehler (2009)
"Die damalige uneigennützige und zum Teil gefährliche Unterstützung, die uns von Mitmenschen zuteil wurde, ist der Grund für meine Aussage: „Ohne die Guten hätte ich nicht überlebt." Da gab es den Vorgesetzten, der mir leichtere Arbeit zuwies, einen anderen, der mir etwas zu essen gab, und einen, von dem ich Kleidung erhielt. So kam ich über die Runden. Allerdings durfte ich weder ein Schwimmbad noch eine Arztpraxis oder einen Luftschutzbunker betreten.
Ich war unter den etwa 40 Mannheimern, die am 13. Februar 1945 in das Konzentrationslager Theresienstadt in der Tschechoslowakei deportiert wurden, als die Amerikaner bereits am Rhein standen. Am 8. Mai 1945, am Tag der Kapitulation Deutschlands, wurden wir von der Roten Armee befreit. Vierzehn Tage zuvor hatte die SS das Konzentrationslager an das Rote Kreuz übergeben. Ab da waren wir, die noch lebenden Insassen des Lagers, gerettet. Über Nacht waren alle Bewacher und Peiniger verschwunden. Einer von ihnen hatte aus nichtigem Anlass kurz zuvor einen neben mir stehenden Häftling mit der Pistole erschossen. Auch ich hätte das Opfer sein können.
Das Gefühl, das nach der Befreiung erst ganz allmählich hochkam, war überwältigend. Ich hatte überlebt, war tatsächlich frei, und nach der langen Zeit der Fremdbestimmung und der ständig vorhandenen Angst konnte das Leben nunmehr beginnen,"
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Walter Wassermann lebt mit seinen Eltern und Großeltern väterlicherseits in Mannheim. Der Vater stirbt 1929. Mit der Mutter, dem Stiefvater und einer Schwester wohnt er in den Dreißiger Jahren in Berlin. Der Stiefvater wird nach dem 9. November 1938 nach Buchenwald deportiert. Die Mutter kauft ihn dort frei und verschaffte ihm eine Passage nach Shanghai.
Die Deportation der badischen Juden nach Gurs in Frankreich, am 22.10.1940, bei der Walter Wassermanns Großeltern verschleppt werden, bleibt ihm erspart. Er lebt zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin. Wassermann verliert vier Familienmitglieder. Seine Großeltern werden in Auschwitz ermordet. Walter Wassermann zieht mit der Mutter und der Schwester zurück nach Mannheim und findet Schutz bei den "arischen" Verwandten der Mutter.
Wassermann muss als junger Mann in verschiedenen Mannheimer Betrieben zwangsweise arbeiten. So in der so genannten "Lumpezwick", sowie bei der Firma H. und I. Ludwig und der Firma Notti, beides Baufirmen. Im Februar 1945, mit 21 Jahren, wird Wassermann nach Theresienstadt deportiert. Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrt er mit einer kleinen Gruppe Gleichaltriger zu Fuß nach Mannheim zurück. Seine Altersgenossen emigrieren alle, er bleibt in der Stadt. Auf die Frage nach dem Grund für sein Bleiben sagt er: "Ich bin einfach Mannheimer!"
Er bleibt in Mannheim, heiratet 1948 seine Frau Lilly, aus der Ehe gehen 5 Kinder hervor. Den Seckenheimern im Gedächtnis bleibt Wassermann als aktive dem Vereinsleben verbundene Person.
Über zwei Jahrzehnte (1965 - 1992) lang bewirtschaftet die Familie gemeinsam das Gasthaus im Schloss.
2005 überrascht der allseits beliebte Schloßwirt die Seckenheimer. Er spricht öffentlich über das Martyrium seiner Vergangenheit und berichtet in Schulen und auf Veranstaltungen aus seinem Leben. Dafür erhält Walter Wassermann, als Zeitzeuge der Verbrechen in Nazideutschland, 2012 das Bundesverdienstkreuz. Der Stein zu seinem Andenken liegt an seiner langjährigen beruflichen Wirkungsstätte - dem Seckenheimer Schloss.
Familienmitglieder von Walter Wassermann und zahlreiche Seckenheimer waren zur Einlassung des Stolpersteins vor dem Eingang des Stengelschen Schlosses gekommen.
© Trinkaus
Trotz Nationalsozialismus Mannheimer geblieben
Walter Wassermann zog nach dem Krieg nach Seckenheim, heiratete bald und bekam mit seiner Frau Lilly fünf Kinder. Silvia, Gabi, Esther und Frank waren jetzt da, Tochter Carla war leider erkrankt. Die Enkel Florian und Heike sowie Urenkelin Alicia waren ebenso gekommen wie zahlreiche Wegbegleiter und Freunde, als man nun mit einem "Stolperstein", der vor dem Eingang zum Stengelschen Schloss eingelassen wurde, ehrend an ihn erinnerte.
1924 in den G-Quadraten geboren, gehörte Wassermann zu den wenigen Mannheimer Juden, die den Nationalsozialismus überlebten. Der Vater konnte mit Hilfe seiner Frau nach Shanghai flüchten, Sohn Walter Wassermann zog mit Mutter und Schwester nach Mannheim zu katholischen Verwandten. Als junger Mann musste er in verschiedenen Mannheimer Betrieben Zwangsarbeiten verrichten, etwa in der sogenannten "Lumpezwick". Obwohl körperlich klein, wurde er bei Baufirmen eingesetzt. Im Februar 1945 wurde er dann mit 21 Jahren nach Theresienstadt deportiert und später von den Alliierten befreit. Zu Fuß kehrte er mit einer Gruppe Gleichaltriger nach Mannheim zurück. Während viele Altersgenossen emigrierten, blieb er in der Stadt, weil er sich als "Mannheimer" fühlte. "Und weil ich ohne die Guten hier nicht überlebt hätte", wie er auf Nachfrage später erklärte.
Walter Wassermann blieb also, zog nach Seckenheim, heiratete Ehefrau Lilly, und das Paar bekam fünf Kinder. Er sang im katholischen Sängerbund, gehörte den Zabbe-Fasnachtern an, bewirtschaftete über zwei Jahrzehnte die Schlossgaststätte und war längst zum Seckenheimer geworden. So ehrten ihn neben Veronika Wallis-Violet bei der Steinlegung, für die Oberbürgermeister Peter Kurz die Schirmherrschaft übernommen hatte, die Stadträte Marianne Seitz, Marianne Bade und Thorsten Riehle, die ehemaligen oder aktiven Vereinsvorstände Theo Schmitt (TB Jahn/TSG), Jürgen Zink und Willi Pint (IG und Sängerbund), AWO-Chef Fritz Deininger, Diakon Winfried Trinkaus oder Werner Seitz und Wilhelm Stamm vom Historischen Verein.
Sie alle würdigten Walter Wassermanns Entschluss, 60 Jahre nach Kriegsende über sein Leben vor der Seckenheimer Zeit zu sprechen: Zuerst zaghaft, dann öffentlich benannte er die Gräueltaten der Nazis ebenso deutlich wie die Unterstützung durch die "Guten". Er stand Rede und Antwort bei Veranstaltungen, im evangelischen Gemeindehaus sowie in Schulen. Im August 2014 war es dem Träger des Bundesverdienstkreuzes vergönnt, im Alter von 90 Jahren still einzuschlafen, so hatte er es sich gewünscht.
Sohn Frank ergriff für die Familie das Wort und unterstrich, dass es "ohne Vergangenheit keine Zukunft" gibt. Er dankte für die Würdigung und war sichtlich gerührt von der stattlichen Seckenheimer Anerkennung der Lebensleistung seines Vaters.
© hat Mannheimer Morgen, Montag, 09.10.2017