Gerhard Lewin - Tag der Befreiung
Bericht von Gerhard Lewin:
Tut mir leid, ein paar Fehler sind in mein kurzes gefühlsbetontes Schreiben eingedrungen!
Ich wollte mit diesen Zeilen ein wenig von den Eindrücken eines jungen - damals jungen - Kindes zum Ausdruck bringen. Ich selbst bin im Jahre 1960 mit 25 Jahren nach den USA ausgewandert.
Ich wollte denen gegenüber, die mein Leben retteten als Gegenleistung Gutes tun.
Als Photojournalist und Photograph wurde ich in diesem Land anerkannt, jedoch der Lockruf der Heimat wird niemals in mir entschwinden
Gerry Lewin März 2019
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Da, wo Sie an diesem Tag stehen werden, um meines Großvaters Sigmund Lewin zu gedenken, stand ich vor genau 74 Jahren an jenem Karfreitag, dem 30. März 1945 - einem Tag, den wir hier in meinem heutigen Land als Good Friday kennen.
Ja es war ein Guter Freitag - jedoch auch wehmütig.
Nach sechs langen Kriegsjahren dröhnten an diesem Morgen wieder einmal die Sirenen, die uns wie gewöhnlich zwangen, zum Schutz in unseren Keller zu flüchten.
Jedoch an diesem Morgen schien alles anders - es kam nicht das gewohnte Explodieren von fallenden Bomben - es klang geheimnisvoller, es war ein Rattern von Maschinengewehren und detonierenden Panzerfäusten, das vom Ufer des Neckars her zu uns in unser Dorf drang.
Was auch passieren sollte - der Gedanke, diesem Zeitpunkt in unserem Keller sitzend zu begegnen, war mir plötzlich unertragbar.
Zehnjährig und verbittert, dass mein Vater, Kurt Lewin - er war Halbjude - kurz zuvor sein Leben, als Soldat für Deutschland kämpfend, geopfert hatte - genauso wie 325 andere Seckenheimer - bestimmte mein Gemüt und meine Trauer.
Die Offenburger Straße war leblos. Kein anderer Mensch traute sich, heraus in diese Straße zu wagen.
Plötzlich sah ich sie - ich blinzelte erst heimlich dann doch gewagter von diesem unserem Einfahrtstor heraus.
Sie kamen vom Schloss her - einer nach dem anderen.
Wie graue Mäuse schlichen sie vorgekrümmt von einem Haus zum anderen. Oh ja - erst bei den Knodels vorbei - dann den Kreutzers, den Kettners und dann stand er vor mir - mein erster Amerikaner!
Ein kurzes Lächeln zwischen uns - ein Bewusstsein - ja, ich war wirklich frei, ich überlebte!
Ein paar Tage später ging ich bei den Weiden in Richtung Neckarhausen den Neckar entlang.
Da lagen sie - von der Frühjahrssonne aufgebläht, manche noch mit Panzerfäusten in ihren leblosen Händen, andere mit einem Gewehr neben sich.
So viele gaben so viel - sie gaben ihr Leben - sie gaben ihr Alles!
Der Tod macht keinen Unterschied ob Jude oder nicht!
Friedrich Schillers Ode erinnert und appelliert an uns:"Alle Menschen werden Brüder" ! Anne Frank schrieb aus Bergen-Belsen: "Trotz allem glaube ich immer noch, dass die Menschen tief in ihrem Herzen gut sind" !
Unsere Mutter, die als Arierin sich vielen Bemühungen meines Großvaters und auch anderer jüdischen Familien der Gestapo gegenüber annahm, betonte mir gegenüber:
"Ja, ich kann ihnen vergeben - aber ich kann nicht vergessen!"